Hauke Gierow, Merics

"Chinesische Produkte sind nicht per se unsicher"

Uhr | Aktualisiert
von Christoph Grau

Hauke Gierow ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Mercator Institute for China Studies (Merics) in Berlin. Zu seinen Forschungsschwerpunkten zählen die IT-Sicherheit in China, die chinesische Internet-Diplomatie und die politischen Entwicklungen in der ICT-Landschaft.

Hauke Gierow ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Mercator Institute for China Studies (MERICS). (Quelle: MERICS)
Hauke Gierow ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Mercator Institute for China Studies (MERICS). (Quelle: MERICS)

Ist es noch zeitgemäss, bei den ICT-Produkten aus China nur an billige Massenware und Kopien zu denken?

Hauke Gierow: Dieses Bild ist längst überholt. Anfangs mögen die chinesischen Hersteller noch ausländische Produkte kopiert haben, inzwischen bringen sie aber auch Innovationen hervor. Beispielsweise kann der ursprüngliche Whatsapp-Klon Wechat (Weixin) mittlerweile viel mehr als das Original aus den USA. Neben der Chat-Funktion kann man über die App auch Einkäufe tätigen und vieles mehr. Um Wechat und auch andere Produkte ist ein eigenes «Ökosystem» entstanden. Von diesen Innovationen können auch westlichen Hersteller lernen, und zunehmend tun sie dies auch.

In welchen Bereichen ist dies der Fall?

Die mobile Nutzung des Internets ist in China viel weiter verbreitet. Als Reaktion auf diese Veränderungen haben chinesische Unternehmen darauf zugeschnittene Lösungen entwickelt, die auch für die westlichen Konkurrenten interessant sind. Die Gründer der Chat-App Snapchat etwa gaben an, das «Wechat des Westens» entwickeln zu wollen.

Wie schätzen Sie die Sicherheitsbedenken ein?

Ich würde nicht nur das Herkunftsland als bestimmenden Sicherheitsfaktor bewerten. Chinesische Produkte sind nicht per se unsicher. Häufig verfügen Software und Apps in China aber noch nicht über das gleiche Sicherheits­niveau wie die Produkte im Westen. Allerdings ist das Niveau der IT-Sicherheit auch global gesehen nicht besonders hoch, was an den häufig bekannt werdenden Sicherheitslücken deutlich wird.

Und gibt es wirklich Hintertüren für den Geheimdienst?

Bisher gibt es keine konkreten Beweise, dass es in chinesischen Produkten Hintertüren für den chinesischen Geheimdienst gibt. In Grossbritannien hat Huawei sogar ein Forschungszentrum zur Überprüfung der Quellcodes seiner Produkte gegründet und legt diese damit der britischen Regierung offen. Den ersten Zwischenberichten zufolge konnten keine Hintertüren ausgemacht werden. Chinesische Hersteller betonen immer wieder, dass es in China keinen «Patriot Act» wie in den USA gebe, der Firmen zur Kooperation zwinge. Das ist so jedoch nicht ganz richtig: Chinesische Hersteller von Verschlüsselungssoftware etwa müssen einen "Generalschlüssel" bei staat­lichen Stellen hinterlegen.

Welche Veränderungen gab es in den letzten Jahren?

Seit vergangenem Jahr hat die politische Zentralisierung der Entscheidungsbefugnisse erheblich zugenommen. Damit meine ich, dass das Klima für ausländische Firmen rauer geworden ist. Die Regierung nimmt ausländische Produkte immer häufiger als Sicherheitsbedrohung wahr und setzt dagegen auf einheimische Alternativen. Besonders möchte die Regierung den Informationsfluss auf allen Ebenen kontrollieren. Weiter hat die Regierung das Thema Digitalisierung als zentralen Aspekt für die Modernisierung von Wirtschaft und Gesellschaft erkannt. Mit Ausnahme von vielleicht Estland geht kaum ein anderes Land momentan so stark in diese Richtung wie China. Mit der Digitalisierung will China sowohl Sicherheit und Stabilität erreichen, als auch die wirtschaftliche Entwicklung sichern. Gleichzeitig treten chinesische Unternehmen global immer stärker auf, zunehmend auch mit eigenen Innovationen. Chinesische Unternehmen engagieren sich auch in der Entwicklung von neuen Technologien. Beispielsweise sind Firmen wie Huawei und ZTE führend bei der LTE-Technologie.

Welche Vorteile hat die Chinesische ICT-Wirtschaft?

Ihr stärkstes Verkaufsargument ist zunächst der günstige Preis. Diesen können sie durch die enge Anbindung an Auftragsfertiger wie Foxconn in der Region Shenzhen erzielen. Ich sehe aber auch viele Innovationen im Hardware-Bereich, wie etwa die Produkte von Xiaomi oder Oneplus. Diese werden auf einem hohen technischen Niveau gefertigt und sind trotzdem günstig.

Warum sind jetzt so viele chinesische Unternehmen auf globalem Expansionskurs?

Vor mehr als einer Dekade hat die chinesische Regierung eine Internationalisierungsstrategie für chinesische Unternehmen verkündet. Im Rahmen dieser Strategie fördert die chinesische Regierung auch ICT-Unternehmen aktiv bei der Auslandsexpansion. Beispielsweise erhielt Huawei von der China Development Bank seinerzeit einen günstigen Kredit in Höhe von zehn Milliarden USD. Diese aktive Förderung hat der Expansion einen grossen Schub gegeben. Die internationale Erfahrung hilft chinesischen Herstellern natürlich auch, ihre eigenen Produkte weiterzuentwickeln.

Wie gross schätzen Sie die Rolle des chinesischen Staates bei den ICT-Unternehmen ein?

Die Frage nach dem staatlichen Einfluss ist ein Stück weit Spekulation. Vermutlich gibt es bei den meisten Firmen eine gewisse Nähe zur chinesischen Regierung, zum Beispiel wenn es um die Beschaffung von Infrastrukturen für den Staat geht. Auch fördert die Regierung gezielt die Entwicklung von Parallel-Standards im IT-Bereich. Wie eng die Firmen aber wirklich mit dem Staat verbandelt sind, kann nur schwer ausgemacht werden.

Auf der CeBIT wurde die enge Partnerschaft Europas mit China beschworen. Ist diese wirklich einen Win-Win-Situation für beide Partner?

Ich würde hier der europäischen Seite etwas Blauäugigkeit unterstellen wollen. Zu viel Optimismus ist meiner Meinung nach nicht angebracht. Denn die westlichen Partner gehen davon aus, dass beide Seiten nach den gleichen Regeln der Marktwirtschaft spielen, was in China aber nicht immer der Fall ist. Gerade was Fragen privatwirtschaftlicher Regeln und der Festlegung von IT-Standards angeht, hat der Staat in China viel mehr Einfluss. Gerade in den vergangen Monaten hat die chinesische Regierung ausländische Firmen bewusst aus dem Markt herausgedrängt. Dies zum einen, um die eigene Wirtschaft zu stärken. Zum anderen werden ausländische Firmen aber auch vermehrt als Sicherheitsrisiko wahrgenommen. Zudem werden in China zunehmend Parallelstandards entwickelt, die es ausländischen Partnern schwerer machen, in den Markt vorzudringen.

Wie wird sich der ICT-Markt in China weiterentwickeln?

Experten zufolge wird die Hälfte aller globalen IT-Investitionen in China getätigt, was die anhaltende Dynamik unterstreicht. Das Wachstumstempo wird voraussichtlich hoch bleiben. Wir werden weiterhin mehr eigene Innovationen aus China sehen. Gerade im Bereich der mobilen Nutzung können wir viel von China lernen.

Webcode
1712